Da möchte ich widersprechen. Erstens ist das Spektrum an Bedürftigkeit oder Fülle bei Männer und Frauen gleich, sie unterscheiden sich höchsten darin, welchem Bedürfnis sie welche Priorität geben. Als Beispiel: Für viele Frauen mag das Bedürfnis, dass ihre Grenzen gewahrt bleiben, erst mal wichtiger sein, als ihr Bedürfnis nach Sex. Da Männer in unserer Gesellschaft im Schnitt weniger übergriffigem Verhalten ausgesetzt sind, sieht es bei ihnen meistens anders aus.
Zweitens, bloß weil ich Lust auf Sex habe, bin ich nicht automatisch bedürftig. Der Begriff Bedürftigkeit bezeichnet für mich in diesem Kontext einen gefühlten Mangelzustand in Verbindung mit der Vorstellung, dass dieser gefühlte Mangel auch in Zukunft andauern wird. Ich habe also den Wunsch nach Sex, Nähe, Aufmerksamkeit, Geborgenheit, Sicherheit, Wahrung meiner Grenzen, Annahme, etc., bezweifle aber von vornherein, dass dieser Wunsch erfüllt werden wird. Und selbst wenn er heute erfüllt wird, bezweifle ich, dass es morgen, nächste Woche, nächsten Monat, ebenfalls passiert. Ich kann also noch nicht mal den Moment der Erfüllung genießen, da ich gedanklich schon in der Zukunft bin. Mein Eindruck ist, dass dieser gefühlte Mangel sehr stark mit dem Gefühl eigener Unzulänglichkeit zusammenhängt. Sprich: Ich halte mich für zu schlecht, um die Erfüllung meines Wunsches einfach so zu verdienen. Ich beobachte drei Strategien, um diese Grundhaltung zu kompensieren:
1. Resignation und betteln. "Ich weiß, ich bin zu schlecht, um von dir zu bekommen, was ich mir wünsche, und nichts, was tue, wird das ändern. Aber könntest du nicht vielleicht aus Mitleid eine Ausnahme machen?"
2. Leistung und Handel. "Wenn ich mich so gebe, wie ich glaube, dass du mich haben möchtest, das tue, von dem ich glaube, dass du es von mir haben willst, und zwar besser als all meine Konkurrenten, dann wirst du mir im Gegenzug meine Wünsche erfüllen, schließlich hab ich dafür 'bezahlt'."
3. Einfach nehmen. "Du wirst mir eh nie geben, was ich haben will, also bleibt mir nichts anderes übrig, als es mir von dir zu nehmen."
Nichts davon gibt meinem Gegenüber den Eindruck, eine schöne Erfahrung zu machen, wenn er oder sie mir meine Wünsche erfüllt. Entsprechend werde ich sehr wahrscheinlich genau die Ablehnung erleben, die ich von vornherein erwarte.
Wenn ich stattdessen aber in einem Gefühl der Fülle bin, also die innere Überzeugung habe, dass meine Wünsche jetzt und auch in Zukunft erfüllt sein werden, einfach, weil ich es, so wie ich bin, wert bin, kann ich entspannt und eben mit Leichtigkeit in Kontakt mit anderen Menschen treten. Und natürlich kann ich dann Lust auf Sex haben, Sex in diesem Zustand ist verdammt toll. Es geht ja nicht darum, keine Wünsche mehr zu haben, sondern um die Überzeugung, dass sie auf die eine oder andere Art sicher erfüllt werden. Genug Selbst-Wert-Gefühl zu entwickeln, um diesen Zustand zu erreichen, ist aber leider recht schwierig. (Also für uns Männer ist ein Sexualpartner (je nach Präferenz...) mit dem wir uns mal so richtig ausvögeln können, da sehr hilfreich
) Ich habe Jahre tantrischer Praxis gebraucht, um mal in dieses Gefühl der Fülle zu kommen und kein Zustand im Leben ist von Dauer, auch dieser nicht.
Die meisten Menschen, die ein Tantraseminar besuchen, tun dies ja, weil sie sich eine Veränderung in ihrem Leben wünschen. Das heißt, sie verspüren in ihrem Leben die eine oder andere Form von Mangel und diesen nehmen sie dann natürlich mit auf's Seminar. Einfach wäre es, wenn es sich bei allen Teilnehmern immer nur um den Mangel von Sex, egal mit wem, handeln würde, dann könnten sich alle nach Herzenslust mit einander austoben. Die Realität sieht natürlich anders aus, da ist immer auch z. B. Mangel an Nähe, an Anerkennung, an Zärtlichkeit, an Wahrung der eigen Grenzen, an Gefühl von Selbstwirksamkeit, an Freiheit und vieles mehr mit dabei. Entsprechend prallen viele verschiedene Bedürfnisse auf einander.
Wer es dann schafft, die eigenen Bedürfnisse zu erkennen und zu akzeptieren, genau wie die Bedürfnisse der anderen, und trotzdem bei sich zu bleiben, die anderen weder in die Pflicht zu nehmen (Es sei denn, es geht um die eigenen,
KOMMUNIZIERTEN, Grenzen. Zu erwarten, dass die anderen Gedanken lesen ist sinnlos ) noch zu beschuldigen, der hat gute Karten, um einige positive Erfahrungen reicher, wieder nach Hause zu gehen.