Das gibts alles nicht!
Rotes und weißes Tantra? Was soll das sein? Böse behauptung/Frage, ich weiß. Aber ich stelle sie, weil ich so ad hoc, und auch bei längerem Nachdenken keine (!) einzige tantrische Schriftstelle kenne, die Tantra (was auch immer das sein soll) irgendwie in Farben einteilt. Wobei die Farbeinteilung schon sinnig ist. Immerhin variiert sie von exoterischem Blödsinn, á la: rot meint Menstruationsblut und irgendwas mit dem ersten Chakra und ist unrein, weil es Sexualität mit einbezieht, bis hin zu wissenschaftlichem Blödsinn (der jedoch sehr wahrscheinlich ist), á la: rot meint eben das Rot, welches in der Samkhya-Philosophie für eines der Gunas (Qualitäten der materiellen Natur) steht, nämlich das rajas, also die Bewegung, das Vorwärtsstrebende und auch das Leidenschaftliche. Und weil Tantra halt auch bewegend sein kann, vor allem auch in den unreinen "Schmuddelbewegungen", deswegen hat es den Stempel des rajasigen bekommen, also rot.
Für mich stellt sich natürlich die Frage, wer bezeichnet Tantra als rot, weiß, grün, blau oder so...? Und seit wann wird das so farbig eingeteilt? die Fragen kann man beantworten: Es sind diese neumodischen Leute, ab dem viktorianischen Zeitalter. Und eigentlich herrscht in diesen farbigen Beschreibungen nur eine gesellschaftliche Konvention vor, nämlich die, dass man Sex schon irgendwie ins Tantra-Konzept aufnehmen kann, aber dann doch bitte mit einer Farbgebung, die es deutlich von dem reinen Tantra abhebt. Und diesen ganzen Einteilungen hat dann der Esomainstream des Neotantra dann noch den letzten Rest gegeben, in dem es Einteilungen erfunden hat, die es so nie gab.
Was es in Indien gab, ist eine Einteilung in rechts- und linkshändiges Tantra. Diese Einteilung haben Brahmanan vorgenommen, bzw. brave yoga-Asketen, denn es ging ja immerhin darum, welche Spiritualpraktiken rein (rechtshändig) und welche unrein (linkshändig) sind. Dass der Yoga natürlich viel aus dem Tantra abgekupfert hat, und das heutige Hatha-Yoga eigentlich eine ursprüngliche tantrische Form der Spiritualität gewesen ist, wird dann nicht mehr dazu gesagt, denn es wäre blöd, wenn man den sauberen, asketischen Yoga mit so unreinen Schmuddelkram in Verbindung bringen würde. Ab und zu verleugnen auch Spiris ihre Wurzeln.
Und an dieser Stelle vielleicht nochmal die Wichtigkeit: Wer definiert hier was und aus welchem Grund? Benennen sich Tantriker mit links- und rechtshändig? nein, eigentlich nicht. Ein Abhinavagupta hätte seine Philosophie nie mit Händen bezeichnet, oder gar als rein oder unrein. Es sind immer die Kritiker, die zu solchen Labels greifen, um sich abzugrenzen (das bedeutet übrigens de-finieren!). Tantra ist ja nicht ein homogenes Etwas, wo man genau sagen könnte, dass dieses un jenes tantrisch ist, und das andere da eben nicht. Tantra berührt sich mit vielen Lehren. Tantra hat sich in viele Lehren hinein-ergossen, und hat so was neues geschaffen. Und auch die tantrischen Schulen, von denen es zig-ewig-viele gibt, sind sich ja nicht grün, was denn tantrisch sein soll, bzw. sie benennen sich noch nicht mal als tantrisch. Da ist dann nur von Yoga-Praktiken die Rede, von -vadas, also -ismen und von vrata, also Observanzen und Askesepraktiken. Dass man das ganze merkwürdige Zeugs, dass da am Ende noch irgendwie sexualmagisch Göttinnen Verehrend, nackt seiend, krasse Praktiken betreibend irgendwie als Tantra bezeichnet, haben wir ja den Buddhisten zu verdanken. Die nannten die leicht unorthodoxen, aber dennoch wirksamen Lehren als Tantrayana. Und erst ab dem Buddhismus nannten sich auch die unorthodoxen lehren der Hindus Tantra. zuvor waren sie einfach einer von vielen Heilswegen.
Beispiel hatha-yoga/Kundalini: Groß geworden durch die Nath-Siddhas, die Erfinder der Asanas, der Chakralehre (so umfangreich, wie sie uns heute vorliegt). Beeinflußt wurde das ganze über die Siddha-kulte durch buddhistische Lehren, ergänzt durch durch ein altes vedisches Weltbild der Energiekörper (shariras), bzw. Energiehüllen (koshas). Fußend auf den alten Philosophiesystemen des Yoga und des Samkhya. Ein bunter Mix, der erst mal sehr traditionell, shramana-mäßig (und dadurch anti-smarta) daher kommt. Im Laufe der Zeit in der Volksfrömmigkeit zur Magie weiterentwickelt, von den philosophischen Schulen und den gesellschaftlichen revoluzzern zu einem gigantischen System aufgebauscht, das an den Randstellen (durch das Mahayana beeinflußt) sexualität als Mittel zum Zweck einsetzt. Ansonsten ist man treu tantrisch zölibatär, so wie die gescheiten Yogis auch....
greez
Heiko